Miniatur „Initium creaturae dei“, Ausschnitt, Liber scivias, Zwiefalten und Salem, Ende des 12. Jahrhunderts und um 1220

KÖRPERLICHKEIT UND SEXUALITÄTDIE VISIONEN DERHILDEGARD VON BINGEN

„Wisse die Wege des Herrn!“ bedeutet der Titel „Liber scivias“, ein Meilenstein der christlichen Mystik des Mittelalters, übersetzt. Hildegard von Bingen schrieb in diesem Buch ihre Visionen nieder. Die Nonne thematisierte dabei auch Intimes: den richtigen Umgang mit Sexualität aus christlicher Sicht.

Feine Stuckaturen mit dunkle Rautenmuster – die Bibliothek von Kloster Salem.

WERTVOLLE MITTELALTERLICHE HANDSCHRIFTEN

Über 60 Salemer Handschriften aus dem 13. und 14. Jahrhundert sind in der Klosterbibliothek erhalten. Sie entstanden zur Blütezeit des Klosters rund 100 Jahre nach seiner Gründung. Neben Texten für den Gottesdienst sind zahlreiche literarische Werke und theologische Literatur darunter. Ein besonders herausragendes Werk, eine wertvolle Handschrift mit kunstvollen Miniaturen dieser Zeit, befindet sie heute jedoch in der Universitätsbibliothek Heidelberg: der „Liber scivias“ der Hildegard von Bingen.

Foto: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Achim Mende

Scivias – „Wisse die Wege“, so nannte Hildegard von Bingen ihr Buch.

DIE BERÜHMTESTETE NONNE

Hildegard von Bingen (1098‒1179) ist die wohl bekannteste Nonne des Mittelalters. Schon für ihre Zeitgenossen war sie eine Berühmtheit. In Städten und Klöstern predigte sie den Menschenmassen von Gott. Dabei kam sie weit herum: Auf ihrer letzten Reise besuchte sie sogar die Klöster in Maulbronn und Hirsau. Ihre Visionen und Ansichten hielt sie in mehreren Büchern fest. Ihre Schriften gehörten bald zum Inventar einer jeden guten Klosterbibliothek – so auch in Kloster Salem.

Kloster und Schloss Salem, Bibliothekstür

Die Bibliothek von Kloster Salem versammelte das Wissen der Welt.

VISIONEN VON GOTT

Fast zehn Jahre lang arbeitete Hildegard von Bingen an dem „Liber Scivias“. Insgesamt 26 Visionen thematisieren Gut und Böse, Richtig und Falsch, Sündenfall und Erlösung. Hildegard von Bingen behandelte auch Sexualität und Liebe, die nur in einer Ehe stattfinden sollten: „Dass aber die erste Frau aus dem Mann gebildet wurde, bezeichnet die eheliche Verbindung zwischen Mann und Frau… Diese Verbindung ist nicht ohne Zweck und darf nicht in Gottvergessenheit vollzogen werden.“

Miniatur, Ausschnitt, Liber scivias, Zwiefalten und Salem, Ende des 12. Jahrhunderts und um 1220

Die kunstvollen Miniaturen des „Liber scivias“ kreisen um den Glauben.

SEID FRUCHTBAR UND MEHRT EUCH

Immer wieder zieht Hildegard von Bingen die Bibel als Autorität heran: „Wie deshalb Adam und Eva ein Fleisch waren, so werden auch jetzt Mann und Frau in der Liebesvereinigung ein Fleisch zur Vermehrung des Menschengeschlechts.“ Mann und Frau erscheinen hier als Einheit: „Denn Eva wurde aus der Rippe Adams durch die Wärme und Lebenskraft, die in ihr waren, geformt. Und deshalb empfängt jetzt die Frau aus der Kraft des Mannes und seiner Glut den Samen, um ein Kind zur Welt zu bringen.“

Miniatur, Ausschnitt, Liber scivias, Zwiefalten und Salem, Ende des 12. Jahrhunderts und um 1220

Die kunstvolle Miniatur aus dem Salemer Scivias zeigt einen schreibenden Mönch.

DIE VERSUCHUNGEN DES TEUFELS

Untreue und Unzucht verurteilte Hildegard von Bingen aufs Schärfste: „Denn besser ist es, eine rechtmäßige Ehe gemäß der Anordnung der kirchlichen Entscheidung zu führen, als Verlangen nach Unzucht zu haben.“ Insbesondere Männer sollten sich zügeln: „Unerlaubter triebhafter Samenerguss ist zu meiden.“ Lüsternheit sei „eine vom Teufel eingegebene Versuchung zur Sünde“. Damit entehre der Mann „auch seinen Leib, was ganz und gar unerlaubt ist“.

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